Wenn Männer und Frauen mit Intentionen zusammenkommen entsteht eine seltsame Dynamik.
Aus dem Blickwinkel der Frauen steht die potentielle maßlose und selbstgerechte Objektivierung der Frau durch Männer. Aus dem Blickwinkel der Männer steht die vorurteilsbehaftete Tätermachung durch Frauen.
(Wenn ich von “Männern” und “Frauen” spreche, meine ich als-so sozialisiert.)
Objektivierung
Was meine ich mit “potentiell maßlose und selbstgerechte Objektivierung“? Die Objektivierung ist potentiell, weil sie jeder Zeit stattfinden kann. Ja, es wird gar davon ausgegangen, dass sie stattfinden wird. Jeder Mensch objektiviert, zu einem gewissen Grad andere Menschen. Besonders solche, die uns fremd sind. Besonders solche, die wir anziehend finden. Doch in diesem Falle ist die Objektivierung maßlos, weil die Frau durch Männer komplett entmenschlicht wird und nur als Sexualobjekt mit Löchern und Brüsten gesehen wird.

"Just Take Them And Leave Me Alone" von Raoof Haghighi
Und zu schlechter Letzt, ist die Objektivierung selbstgerecht, weil sie sich auf ein vermeintliches natürliches (in Wahrheit doch aber religiöses) Recht des Mannes beruft, Frauen zu besitzen, zu befehligen und nach gut dünken zu nutzen. Es ist ein religiöser, patriarchaler Machtanspruch über die Frau.
Tätermachung
Was meine ich mit diesem seltsamen Begriff? Frauen mussten durch ihre viele Erfahrungen mit sexistischem und objektivierenden Verhalten von Männern lernen auf der Hut zu sein. Sie werden bepfiffen, begrapscht, missachtet, nicht ernst genommen, vergewaltigt, misshandelt, getötet. Wenn auch den meisten Frauen Vergewaltigung und Tod glücklicherweise erspart bleiben, so erleben die aller meisten Frauen doch die Auswirkungen des Patriarchats in Form von Verachtung, Verächtlichmachung oder Belästigung, in welcher Form auch immer. Und diese Gewalt geht meist von Männern aus. Besonders die schlimmeren Formen der Gewalt.
Dadurch wachsen viele Frauen in Misstrauen und Angst auf. Vor Männern. Aber auch Männer wissen, dass von Männern besonders physische Gewalt droht und viele haben selber Angst vor Männern.
Doch leider führt diese Sozialisierung der Frau auch zu Misstrauen gegenüber Männern, die gar nicht vor haben ihnen Gewalt anzutun. Es entsteht ein Vorurteil über jegliche fremde Männer. Sie werden als potentielle Täter wahrgenommen.
Dieses Vorurteil kann aber auch nur entstehen, weil die patriarchalen Verhältnisse so existieren, wie sie es tun. Diese Tätermachung ist eine direkte Reaktion auf die Objektivierung der Frauen zu reinen sexuellen Konsumobjekten. Es ist also die falsche, wenn auch verständliche, Reaktion auf ein falsches Verhalten.
Es ist besonders wichtig zu betonen, dass Frauen nicht schuldig an diesem Umstand sind, da ihr Verhalten eine antrainierte Reaktion ist, die auf den missbilligenden Erfahrungen ihres Lebens beruhen. Jedoch nicht zwangsweise auf der Erfahrung der akuten Handlungen in einem alltäglichen Raum mit oder ohne Intentionen. Deswegen ist es ein Vorteil.
Jahrtausende patriarchaler Gesellschaftsverhältnisse und gelebter Sexismus (durch Männer) ist daran Schuld. Doch heißt dies nicht, dass es sich nicht zu ändern lohnt!
“Not all men”
Der Begriff “Tätermachung” ist nicht zufriedenstellend. Doch auch, wenn er kontrovers und holprig ist, beschreibt es doch ganz gut das Gefühl, das Männer fühlen müssen.
Was Frauen allerdings fühlen müssen, ist Angst um ihre Leben und körperliche Unversehrtheit. Denn auch wenn “not all men” Täter sind oder je sein werden. Waren und sind es zu viele, als dass sich Frauen ständig den Luxus erlauben könnten nicht misstrauig zu sein. Wer sagt einem welcher Mann “die Ausnahme” ist?
Nichtdestotrotz drehen wir uns im Kreis.
Gender Clash
Was passiert nun eigentlich, wenn diese beiden Vorurteile aufeinander treffen?
Ganz unabhängig davon, ob eines der beiden Vorurteile sich in einer Situation bestätigt, richten sie Schaden an, wenn sie vorherrschen.
Es sind kleine Dinge: Blicke, Körperhaltung, Tonfall. Es sind die Grenzüberschreitungen. Es sind die Männer, die kein “Nein” akzeptieren können. Es sind die Frauen, die reflexartig preisgeben, dass sie schon einen Freund haben.
Auch wenn das meiste davon nicht in böser Absicht geschieht, sondern gar zum eigenen Schutz, führen diese Dinge dazu die Scham des Gegenübers zu wecken. Sie sollen sich ertappt fühlen für die noch kommenden oder bereits passierten Handlungen.
Diese Beleidigung, die auf die Identität einer Person abzielt; denn das der perfide Mechanismus des Schams, führt dann eventuell zu einer sich echauffierenden Verteidigung. Bei Männern häufiger als bei Frauen. Denn sie scheuen sich weniger vor Konflikten. Das wiederum führt dann zu einer Verletzung der betroffenen Person, die entweder in weiteren Missbilligungen resultiert, im schlimmeren Fall aber zu verbaler Gewalt. “Du Schlampe”, “Arschloch”, “Verpiss dich”. Im maßlosesten Fall führt es allerdings zu körperlicher Gewalt. Besonders bei Personen (meist Männern), die nie gelernt haben, mit ihren Emotionen umzugehen.
Manche Männer sind absolut empört, wenn die Frau sich nicht seinem Willen beugt. Doch gleichzeitig verachten sie sie, wenn sie es tut. Denn dann bestätigt sie ihre Untergebenheit und seinen Machtanspruch. Eine Begegnung, die nicht auf Augenhöhe stattfinden kann ist eine Lose-Lose Situation für alle.
Selbstgerechte Objektivierung gibt es auch von Frauen. Doch erstens, ist diese weitaus seltener oder zumindest unmittelbarer (was sie nicht weniger schlimm macht). Vor allem ist sie aber in einem riesigen Ausmaß weniger maßloser. Eine Frau, die auf Rück- oder Zurechtweisung beleidigt oder verletzt reagiert wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht körperlich gewalttätig. Ob das daran liegt, dass sie auf Grund ihrer, oftmals körperlichen Unterlegenheit keine Gelegenheit dazu hat, ist dabei nicht relevant. Im Gegenteil. Gewalt aus Gelegenheit macht die Taten der Männer nur noch niederträchtiger.
“Wer hat jetzt schuld?!?”
Wer jetzt eine eindeutige Zuordnung erwartet hat, wird enttäuscht. Männer und Frauen sind im gleichen Maß verantwortlich dafür eine Veränderung dieser Spirale zu bewirken. Doch eventuell sind es die Männer in früherer Instanz.
Die Männer sind zwar nicht schuldig daran, dass sie in patriarchalen Strukturen aufgewachsen sind oder gar an ihrem vermeintlichen “Sexualtrieb”. Doch sie machen sich, frei nach Kant, ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit und Empathielosigkeit schuldig, wenn sie ihre Bedürfnisse und Privilegien auf andere schamlos ausüben.
Dennoch ist es auch beiden Seiten kein Hass. Es ist kein Frauenhass bei Männern und kein Männerhass bei Frauen.
Bei Frauen ist eher eine Verachtung für Männer für ihre vermeintlich schändliche und gefährliche Natur. Für Männer ist es zumindest keine aktive Verachtung, sondern kommt eher aus dem irrationalen Machtanspruch über die Frau. Dieser ist aber natürlich intrinsisch Frauenverachtend.
Von keinem einzelnen Mann wird erwartet das Patriarchat im Alleingang zu besiegen. Doch jedem einzelnen Mann obliegt die Verantwortung dafür seinen Beitrag zu leisten.
Die Alternative?
Das bessere Verhalten wäre eine Aufklärung bei tatsächlichem Fehlverhalten. Dadurch wird keine Scham, sondern Güte und Mitgefühl erzeugt. Scham zu erzeugen, heißt Gewalt auszuüben. Damit wird der Kreis nicht durchbrochen. Doch selbst mit Güte wird eine Verletzung des Gegenübers dennoch meist geschehen. Aber hängt es davon ab wie fruchtbar der Boden ist auf den sie fällt, ob es als beleidigend aufgefasst wird oder nicht.
Die potentielle maßlose und selbstgerechte Objektivierung der Frau, sowie die vorurteilsbehaftete Tätermachung von Männern ist dabei in alle Richtungen schädlich. Die Objektivierung schadet nicht nur Frauen, sondern vor allem auch Männern, indem sie dadurch nie aus ihrer emotionalen Verwahrlosung herauskommen, so dass sie keine gleichberechtigte Nähe durch Verletzlichkeit erreichen können.
Die Tätermachung der Männer schadet Männern, aber vor allem Frauen, weil sie sich durch ihre Fixierung auf die verallgemeinerte negative Männerschaft selbst disqualifizieren von einer tiefer greifenden Begegnung.
So verkommen beide Seiten gegenseitig und selbst in ihrer Einsamkeit.
Echte Nähe kann so nicht entstehen. Erst wenn beide Seiten offen mit ihren Verletzungen umgehen und ihre Rüstung fallen lassen, kann ein Kontakt auf Augenhöhe entstehen. Etwas magisches. Das größte und unerklärlichste Wunder zwischenmenschlicher Beziehung:
Wahre Liebe.
Niemand sollte Gewalt erfahren müssen. Ob körperlich oder psychisch. Wenn wir nicht anfangen den Kreis zu durchbrechen, wird es nie Besserung geben und wir werden alle zahnlos und blind.
Die Emanzipation der Männer
Was Frauen in den letzten Jahrzehnten für ihre Emanzipation geschafft haben ist außerordentlich. Doch dabei sind die Männer auf der Strecke geblieben. Wurden sie nicht mitgedacht? Nicht mitgenommen? Oder wollten sie einfach nicht? Der Grund dafür ist irrelevant, denn nicht mehr änderbar. Das Kind ist bereits im Brunnen ertrunken.
Mittlerweile dünkt es den Männern aber dass sie nicht teilnehmen. Ob nun “Male loneliness” oder der Umstand, dass Männer nicht mehr wissen was “Männlichkeit” ausmacht und sich infolge dessen ganze Armeen verbitterter Alpha-Incells gebildet haben. Der gemeine Mann ist eine elende Gestalt. Emotional unterentwickelt, sieht er sich den (zu Recht) höheren Ansprüchen immer größer werdenden Wellen emanzipierter Frauen gegenüber hilflos ausgeliefert.
Es liegt an Männern sich selbst, aus eigener Kraft aus ihrer fahrlässig selbstgewählten Knechtschaft zu befreien. Dennoch muss auch der Feminismus unison begreifen, dass er ohne die Emanzipation der Männer sich nur in höheren Sphären desselben alten Käfigs dreht.
Männer dürfen nicht darauf warten, dass sie befreit werden, sondern müssen sich Gewahr werden, dass die Machtposition im Patriarchat einen hohen Tribut zollt und nicht mehr zeitgemäß oder nachhaltig ist. Männer müssen die Fesseln der Homophobie und ihren verkorksten, konservativen Stärkekult loswerden. Sie müssen lernen, was es wirklich bedeutet Mensch zu sein und nicht nur “Mann”. Sie müssen Verantwortung für ihre Gefühle und ihr Handeln, bzw. Nicht-Handeln übernehmen und Frauen endlich als Mitmenschen begreifen und nicht als Objekte verstehen, die mann konsumieren muss. Sie müssen aufhören auf fahrlässigste Weise zu Tätern zu verkommen.
Erst wenn Männer konsequent im Feminismus mitgedacht werden (so wie es einige Strömungen schon tun), sie sich selbstgewählt aus ihrem Elend lösen und gemeinsam mit den Frauen voranschreiten, kann dem Patriarchat ein Schnippchen geschlagen werden.